Förderverein Märkisches Museum Witten e.V.
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Was ist Kunst?

Die letzte Veranstaltung unserer Reihe ‚Unterm Pusenkoff‘ war die Podiumsdiskussion am 24. September 2020 zum Thema „Ist Kunst systemrelevant?“. Die Beiträge der Teilnehmer:innen enthielten viele interessante Gesichtspunkte, die wir gern festhalten möchten. Deshalb haben wir die Teilnehmer:innen um Beiträge gebeten, um Auszüge aus den Gesprächen auf unserer Homepage veröffentlichen zu können. Hier folgen Auszüge aus den Ausführungen der Referent:innen:

 

Was die Kunst betrifft, so sind wir in einem Dilemma. Wir wissen genau was Kunst ist, solange wir nicht danach gefragt werden. Aber in dem Moment, wo uns jemand fragt und eine umfassende Erklärung und Definition verlangt, geraten wir ins Stockenund erkennen die Unmöglichkeit des Vorhabens. Um trotz dieser Unsicherheit weiter kommen zu können, rufen wir uns einige Eigenschaften oder Wirkungsweisen der Kunst ins Gedächtnis, über die wir reden können. Besonders wichtig erscheint mir der Gesichtspunkt der Innovation. Mit einem Kunstwerk wird etwas hergestellt, was es vorher noch nicht gegeben hat. Dieser Schritt hat eine Tradition, die weit in die Vergangenheit zurückgreift. Die Geschichte der Menschheit zeigt ja seit Jahrtausenden ein intensives Kunstschaffen.

 

In der Steinzeit begann der Mensch Bilder und Skulpturen herzustellen, die etwas zeigten, was es in der Wirklichkeit nicht gegeben hat. Die Phantasie war erwacht und ein unabsehbares Feld von Möglichkeiten tat sich auf. Sich Dinge vorzustellen und zu realisieren, die es vorher nicht gab, wurde zu einem Charakteristikum menschlicher Entwicklung. Auf dieser Spur ist die Kunst auch heute noch. Und weil sie diesen Drang nach dem Neuen hat, ist sie bewusstseinsfördernd, Erkenntnis erweiternd und inspirierend für kritisches Denken. Sie hinterfragt festgefahrene Meinungen und stellt neue Fragen auch an die gesellschaftliche Entwicklung. In den Zeiten unerhörter globaler Bedrohungen hat sie gerade deshalb einen unverzichtbaren Stellenwert. Das gilt um so mehr, als es in unserer Gesellschaft viel zu wenig Reflexionen über und ein viel zu leichtes Hinnehmen von zukunfts bedrohenden Entwicklungen gibt.

 

Aber mit dem innovativen und kritischen Potential ist nur eine Seite der Kunst beschrieben. Die andere Seite ist die sinnliche Wirkung der Kunstwerke. Die Erzeugnisse der verschiedenen Kunstgattungen können uns bis in tiefe Bewusstseinsschichten erfreuen. Und nicht nur das: sie können uns aufrichten und uns mit anderen Menschen gleicher Empfindungen verbinden. Danke, Friedrich Schiller, für diesen Hinweis aus den schönen Götterfunken.

 

Die Schauspielerin Martina Gedeck machte dazu in einem WAZ-Interview Anfang Juni 2020 eine sehr treffende Bemerkung: „Natürlich kann man auf Kultur verzichten,aber sie gibt etwas Wesentliches – Trost, Hoffnung und Freude. Vielleicht nicht systemrelevant, aber lebensrelevant.“                                                                                                                                                                    Detlef Thierig

 

 

Systemrelevant?

 

Klar war in der Pandemie im Frühjahr 2020, dass Gesundheit, ein gesunder Körper, seine Pflege und Versorgung quasi unsere Basis sind. Das Gesundheitssystem ist äußerst relevant, und ebenso die Versorgung mit Lebensmitteln, Nahrung etc. Das war systemrelevant, logisch. Aber warum große Museen und Konzertsäle schließen mussten, während Baumärkte offen waren, hat schon damals bei mir und Freund:innen zu Verwunderung und Protesten geführt. Was war da mit dem gesunden Geist im gesunden Körper?
Auch die schnellen Milliardenhilfen für die Lufthansa und Autoindustrie haben gezeigt, dass man in der Politik die Kunst und Kultur offenbar nicht für systemrelevant gehalten hat und hält. Unser politisches System will das Wirtschaftssystem funktionieren lassen, die Macht des Geldes spielt eine große Rolle, darum geht’s meistens und im Kern. Für dieses unser System in Deutschland ist Kunst nicht systemrelevant.
War das immer so? In der Geschichte der Staaten gab es sehr unterschiedliche politische und ökonomische Systeme. Denken wir nur an die Sklavenhaltersysteme in der Antike, die feudale Herrschaft von Kirche und Adel im Mittelalter, an Merkantilismus und Bürgertum danach und heute die Globalisierung und den Parlamentarismus. Und schon immer gab es - bei diesen sehr unterschiedlichen Systemen - die Kunst. Die Kunst muss also - so gesehen - eine relativ systemunabhängige Seite haben. Ist sie wichtiger als Systeme? Hierauf weist auch unsere Klassik hin. Von der Aufklärung geprägt überhöht sogar Friedrich Schiller die Kunst wenn er formuliert: „...denn es ist die Schönheit, durch welche wir zur Freiheit wandeln.“ Hier hat Kunst nicht nur eine kritische, sondern geradezu emanzipierende und befreiende Funktion. Kunst kann demnach durchaus eine systemsprengende Funktion haben. So wenn er schreibt: Der Künstler ist zwar der Sohn seiner Zeit, aber wehe, wenn er auch ihr Günstling ist.
“Von welchem System also wollen wir angesichts ihrer Geschichte und dieser Umstände sprechen?
Das System Mensch braucht Kunst.
Das zeigt schon unser Anfang. Wir haben Plastiken geformt, Musikinstrumente kreiert, Theater gespielt und Wände bemalt bereits in der sogenannten Vorgeschichte. Fundstücke belegen das für etwa 40.000 Jahre. Kunst gehört von Anfang an zum Kulturwesen Mensch, der durch sie quasi aus der Natur heraustritt (und doch in ihr verweilt). Unsere Kunst und Kultur unterscheiden uns vom Tier, sie gehören zum Kern des Mensch-Seins dazu. Daher kommen wir und das macht uns aus. Daran müssen wir uns erinnern und festhalten.
Kunst ist - auch im Schillerschen Sinne - für das System Mensch relevant, ja geradezu existenziell notwendig.
                                                                                                                                                                                                                                                       Harald Kahl


BERICHTE

65. Vortrag “Unterm Pusenkoff”:

 

Am 12. März 2020 fand noch einmal ein Vortrag in unserer Reihe Unterm Pusenkoff statt. Danach mussten wir erst einmal wegen der Corona-Krise in eine Pause gehen. Die Aufstellung der Stühle machte schon deutlich, dass man schon vorsichtig sein musste. Sie waren alle in einem größeren Abstand aufgestellt. Wir ahnten alle wohl damals nicht, wie ernst und besorgniserregend die Situation werden würde und folgten unbefangen dem ungewöhnlichen Thema. Der Titel hieß “Literatur trifft Kunst”. Der Wittener Lyriker und Autor Gerd Riese hatte Beispiele ausgewählt, wo nicht das Bild zum Text kommt, sondern der Text zum Bild. Es ging bei diesem Vortrag keinesfalls um Illustration oder um Bildbetrachtung als Schulaufsatz, noch um Kunstwissenschaft. Es wurden Bilder und Skulpturen gezeigt und dazu Texte verlesen, die sich in freier Assoziation auf diese Werke beziehen. Es ging um das Treffen von literarischer Kunst mit bildender Kunst auf gleicher Augenhöhe. Handke traf auf Cezanne, Kermani traf El Greco und Rembrandt, Rilke traf auf Rodin und einen griechischen Torso und C.F. Meyer auf Römische Brunnen. Aber auch eigene Texte des Referenten über die Tankstelle von Hopper oder eine Fotografie von Ilona Richter wurden einbezogen. Besonders interessant war der Versuch das Publikum mit einzubeziehen. Es sollte ein interaktiver Vortrag werden und die Zuhörer sollten eigene Eindrücke aufschreiben und dann vorlesen. Es kamen auch Beiträge, aber das eifrige Mitmachen müssen wir vielleicht noch lernen. An den Vortrag schloss sich eine lebhafte Diskussion an. Man war sich einig, dass das ungewöhnliche Thema ein besonders interessanter Ansatz war. Es wurde über das Problem gesprochen, wie sich die sequenzielle Struktur der Literatur mit der Bildenden Kunst in ihrer Simultanpräsentation und Beschaffenheit treffen können.                                                                                                                                                                         Detlef Thierig